Michael Kleeberg: Dämmerung

Michael Kleeberg credit Vivian J. Reinheimer

Der Abschied von Charly „Karlmann“ Renn: Mit „Dämmerung“ zeigt Michael Kleeberg einmal mehr seine schriftstellerische Klasse

von Gérard Otremba

Michael Kleeberg hatte schon 2007 mit dem ersten Band der Trilogie ein umwerfendes wie überragendes Werk zeitgenössischer deutscher Literatur verfasst. Sein Protagonist Charly, „Karlmann“, Renn – wie Kleeberg Jahrgang 1959 – heiratet seine Traumfrau Christine und Boris Becker wird am gleichen Tag als erster Deutscher Wimbledon-Sieger. Ein guter Job als Leiter eines Autohauses in Hamburg und der sich unwiderstehlich findende „Karlmann“ in der ersten Blüte seines Lebens. Bis zum privaten Desaster Ende der 80er-Jahre. In der 2014 veröffentlichten Fortsetzung „Vaterjahre“ dann das Familienglück, aber in welcher Konstellation Michael Kleeberg seinen Protagonisten auch ins Rennen schickte, Charly Renn blieb immer eine Reizfigur, mit der man sich als Leser stets vortrefflich auseinandersetzen konnte. Und Renn polarisiert auch im dritten und Teil „Dämmerung“.

Michael Kleeberg, Karlmann und die drei Feierlichkeiten

Michael Kleeberg Dämmerung Cover Penguin Verlag

Dieser erstreckt sich über einen Zeitraum von drei Jahren und enthält drei Feierlichkeiten, die zu den vielen Höhepunkten dieses brillanten Romans zählen. Zunächst werden wir 2019 Zeugen von Karlmanns 60. Geburtstag, zu dem der Erfolgsmensch – Geschäftsführer der Kautschukfirma Sieveking & Jessen – zahlreiche Menschen aus der Oberschicht eingeladen hat. Nur Ex-Frau Heike und die erwachsenen Kinder fehlen. Während der Corona-phase stirbt Karlmanns Vater, die Beerdigung unter Pandemiebedingungen mit zahlreichen Hamburger Honoratioren als Gäste gerät zur zweiten großen Feier in „Dämmerung“. Im Jahr 2022 ist Karlmann seinen Geschäftsführerposten los und er nimmt das Angebot an, die Leitung des vor sich hinsiechenden Lessinghauses zu übernehmen.

Ausgerechnet einer Kultureinrichtung soll seine geschäftliche Expertise zu Gute kommen, eine Branche, die Karlmann zeitlebens mied und zu der er kaum Berührungspunkte hatte. Weil der Ukraine-Krieg tobt und Charly Renn auch ein hilfsbereiter Mensch sein kann, funktionalisiert er das Lessinghaus kurzfristig in eine Heimstätte für geflüchtete Ukrainerinnen und organisiert eine Spendengala.

Karlmann hat ausgedient

Als Moderator kann er, wie unschwer an der Beschreibung erkennbar, den alten Showmaster-Haudegen Thomas Gottschalk engagieren, doch wird Karlmann die dritte wichtige im Roman beschriebene Feierlichkeit zum endgültigen Verhängnis. Angestachelt von Renns jüngerer Mitarbeiterin Yelda Deleri, mit der Karlmann gelegentlich flüchtig geflirtet hat, beschuldigen ihn zwei der Ukrainerinnen über die sozialen Kanäle der sexuellen Übergriffigkeit. Den einmal losgetretenen Trouble auf den Socials kann er nicht stoppen, das Urteil ist dort schon längst gefällt, unabhängig von der Tatsache, dass hier eine Angestellte ihren Chef offensichtlich zu Fall bringen will. Charly „Karlmann“ Renn jedenfalls hat ausgedient, für seinen neuen Posten nicht mehr tragbar, sein von ihm verkörperter Typus Mann passt nicht mehr in die Zeit.

Michael Kleebergs Fabulierkunst

Präzise und detailliert schildert Michael Kleeberg Karlmanns Abgesang aus der gewohnt übergeordneten Erzählinstanz, die manchmal ganz nah an seine Hauptfigur rückt, wieder auf Abstand geht und manchmal sogar die Leser direkt anspricht. Kleeberg verfügt über einen scharfen Blick auf gesellschaftlich relevante Strömungen, von AfD über Corona-Impf-Skeptizismus bis zur Wokeness-Thematik. Mit seiner „Karlmann“-Trilogie hat der in Berlin lebende Schriftsteller, der exklusiv für Sounds & Books über seine Lieblingsmusik schrieb, eines der bedeutendsten gesellschafts- und zeitgeschichtlichen Werke bundesrepublikanischer Literatur verfasst. Früher waren es Wolfgang Koeppen, Uwe Johnson, Heinrich Böll oder Martin Walser, heute sind es Andreas Maier, Mirko Bonné, Rolf Lappert und Michael Kleeberg, die mit sprachlicher Eleganz und Fabulierkunst als Chronisten der Gegenwart die Literatur spannend gestalten. Kleeberg verabschiedet sich in „Dämmerung“ von Karlmann und hinterlässt einen wehmütigen Rezensenten, der jetzt schon weitere Folgeromane vermisst.

Michael Kleeberg: „Dämmerung“, Penguin Verlag, Hardcover, 480 Seiten, 978-3-328-60011-4, 26 Euro. (Beitragsbild von Vivian J. Reinheimer)   

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